1. Politische Vorgaben
Im Dezember 2019 hat die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, ihr politisches Programm unter dem Namen „Green Deal“ vorgestellt. Der Green Deal soll Europa bis 2050 klimaneutral machen. Soweit das politische Ziel. Interessant ist, dass dieses Programm von Anfang an auch als Wachstumsstrategie präsentiert wurde – ein Aspekt, der oft in der ideologisch geprägten Auseinandersetzung mit dem Thema untergeht. Tatsache ist aber, dass der Green Deal seine Ziele durch massive Investitionen in Bereiche wie Energieversorgung, Digitalisierung, Artificial Intelligence, Cybersecurity, Ökologisierung des Verkehrs und den ökologischen Umbau von Industrie und Landwirtschaft erreichen soll. Der Green Deal zielt insgesamt auf eine effizientere Ressourcennutzung durch den Übergang zu einer sauberen und kreislauforientierten Wirtschaft.

Anfang Juli 2020 hat die Kommission dazu aufgefordert, Vorschläge im Rahmen des sogenannten „Innovationsfonds“ einzureichen. Der Fonds speist sich aus Einnahmen der Versteigerung von Emissionszertifikaten im Rahmen des Emissionshandelssystems der EU. Aus dem Innovationsfonds werden Technologien in den Bereichen erneuerbare Energien, energieintensive Industriezweige, Energiespeicherung sowie Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung gefördert. Es sollen finanzielle Anreize für Unternehmen geschaffen werden, schon heute in CO2-arme Technik zu investieren. Außerdem sollen die EU-Unternehmen im Technologiebereich weltweit führend werden. Für den Zeitraum 2020–2030 werden durch den Innovationsfonds mehr als 10 Mrd. Euro aus der Versteigerung von Zertifikaten im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems bereitgestellt.

Diese Woche schließlich hat sich der Europäische Rat im Rahmen des EU Budgets auf die Finanzierung des Green Deal geeinigt und diesen mit einem Aufbaufonds, der seinen Fokus auf den Umbau der Wirtschaft zu Digitalisierung und Klimafreundlichkeit legen soll, verknüpft – zusammen wurde ein Volumen von 1,8 Billionen (1.800 Milliarden) Euro beschlossen. Damit hat die Europäische Union so viel Finanzmittel für die Erreichung ihrer politischen Ziele zur Verfügung wie noch nie.

2. Rahmenbedingungen in der Finanzwirtschaft
Ebenfalls im Dezember 2019 wurde vom Europäischen Parlament und dem Ratsvorsitz ein Grundsatzbeschluss über ein EU-weites Klassifikationssystem – auch Taxonomie genannt – verabschiedet. Dieses System soll Unternehmen und Investoren eine gemeinsame Terminologie an die Hand geben, sodass sie erkennen können, welche Wirtschaftstätigkeiten aus Sicht der EU als ökologisch nachhaltig angesehen werden können. Ziel der Taxonomie ist es, private Investitionen auf nachhaltige Technologien und Unternehmen zu verlagern, um die im Plan der Europäischen Kommission veranschlagten öffentlichen Gelder mit privatem Kapital zu hebeln.

Dieser künftige Rahmen beruht auf sechs umweltpolitischen Zielen der EU:

  • Klimaschutz
  • Anpassung an den Klimawandel,
  • nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen,
  • Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft,
  • Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und
  • Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

Um als ökologisch nachhaltig zu gelten, müssen Wirtschaftstätigkeiten die folgenden Anforderungen erfüllen:

  • Wesentlicher Beitrag zu mindestens einem der sechs oben angeführten Umweltziele,
  • keine wesentliche Beeinträchtigung eines der Umweltziele,
  • Durchführung unter Beachtung der sozialen Mindeststandards,
  • Einhaltung spezifischer technischer Evaluierungskriterien.

Bisher ist die Taxonomie noch nicht definiert (das soll bis Jahresende 2020 passieren) und richtet sich vorerst an interessierte Investoren und Unternehmen. Es ist aber beachtenswert, dass die Finanzwirtschaft in den Definitionsprozess der Kriterien involviert war und ist. Es herrscht Konsens über die Ziele der Taxonomie.

Es ist unserer Meinung nach klar davon auszugehen, dass die derzeit unverbindlichen Empfehlungen mittelfristig verbindlich werden. Die FMA hat ihre „Übersetzung“ der Taxonomie in nationale Leitlinien erst vor wenigen Tagen vorgestellt und festgestellt: „Der Leitfaden der FMA adressiert sektorübergreifend Banken, Versicherungen, Asset Manager, Pensions- und betriebliche Vorsorgekassen. Sie alle haben Nachhaltigkeitsrisiken in die bestehenden Risikokategorien, in Strategie und Unternehmensführung sowie soweit wie möglich in die bestehenden Transparenzpflichten einzubeziehen.“ Aus diesen „Empfehlungen“ eine Verbindlichkeit für die betroffenen Unternehmen abzuleiten, spätestens wenn man im Rahmen einer FMA-Prüfung mit Best Practices konfrontiert wird, ist wohl nicht sehr schwierig.

Wenn die gesamte Finanzindustrie Nachhaltigkeitsrisiken in ihrer Strategie und in ihrem Risikomanagement berücksichtigen muss, ist es wohl auch naheliegend, dass auch die Kunden der Finanzwirtschaft, also Industrie- oder Gewerbebetriebe, sich relativ bald zu diesen Themen äußern werden müssen. Und von einer reinen Äußerung ist es nicht weit zu Anreizen, den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken auch kontinuierlich zu verbessern. Entweder, um irgendwann einmal entsprechenden rechtlichen Anforderungen zu entsprechen oder – vermutlich schon relativ bald – um günstigeren Zugang zu Kapital zu erhalten.

Insofern gehen wir davon aus, dass der Einfluss dieser Taxonomie beträchtliche Auswirkungen auf das Europäische Finanz- und Wirtschaftssystem haben wird.

3. Umsetzung auf der operativen Ebene
Was können wir, bei allen Unsicherheiten, welche die Umsetzung von so großen Plänen auf europäischer Ebene meist bringen, aus diesen (wirtschafts)politischen Ankündigungen ableiten? Tatsache ist offenbar, dass es ein – vom Willen der europäischen Bevölkerung weitgehend getragenes – starkes politisches Interesse gibt, massive Anstrengungen zu unternehmen, um Europa zu einer Modellregion für eine klimaneutrale, nachhaltige Wirtschaft umzubauen. Für dieses politische Ziel werden in einem ungeheuren Kraftakt der Europäischen Union – immerhin der größte Wirtschaftsraum der Welt – hunderte Milliarden Euro in Bewegung gesetzt und rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen, die mittelfristig alle Unternehmen betreffen werden.

Dennoch verliert sich die Diskussion um Maßnahmen in den Bereichen Klima- und Umweltschutz nach wie vor oft in ideologisch geprägten Scharmützeln. Auf der einen Seite „naive Öko-Fundis“, auf der anderen Seite „rückschrittliche Klimawandel-Leugner“ – Sie verzeihen mir hoffentlich die unsachliche Zuspitzung – vernebeln unseren Blick auf die Tatsachen. Diese Tatsachen sind, dass wir Entwicklungen beobachten, die massive Auswirkungen auf fast alle Bereiche unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft haben werden. Aus unserer Sicht ist, unabhängig von ideologischer Präferenz oder Ablehnung, eine Auseinandersetzung mit den Chancen, die sich durch so eine Veränderung unseres Wirtschaftens ergeben, unabdingbar für Unternehmer und Investoren.

Angesichts ökologischer Herausforderungen und Fragen mächtiger Stakeholder muss Nachhaltigkeit heutzutage ohnehin auf der Agenda jedes CEO stehen. Da die natürlichen Ressourcen weltweit immer knapper werden, werden ihre Preise zwangsläufig steigen. Für Unternehmen bedeuten Maßnahmen in mehr „Grün“ somit nicht mehr Kosten, sondern eher weniger. Denn nachhaltig erfolgreiche Unternehmen werden zukünftig ihren ökologischen Fußabdruck in ihrer gesamten Wertschöpfungskette messen, ihren Betriebsmitteleinsatz senken und so neue Wege zur Kostensenkung und Innovation finden. Diese Unternehmen gibt es – gerade in unseren Heimatmärkten Schweiz, Österreich, Deutschland – bereits: Sie betreiben zum Beispiel Solar- und Windenergie, entwickeln Batterien, sanieren Gebäude, arbeiten an effizienteren Produktionsverfahren oder bauen die Kreislaufwirtschaft aus. Natürlich endet diese Liste hier nicht, denn in allen Bereichen gibt es Vordenker. Bei der FINAD versuchen wir daher, in liquiden und illiquiden Investments für unsere Kunden, solche Unternehmen zu identifizieren und mit ihnen gemeinsam zu wachsen. Denn die Entwicklung ist eine globale, keine europäische. Eine starke Marktposition in Europa könnte somit sehr bald das Sprungbrett zu einer starken globalen Position sein.

Wir sind davon überzeugt, dass zukünftig mehr und mehr Kapital in Bereiche investiert werden wird, wo es um mehr als nur finanziellen Ertrag geht, nämlich auch um positive Effekte auf die Umwelt oder unsere Gesellschaft. Dieses nachhaltige Investieren gewinnt seit Jahren immer mehr an Bedeutung, sowohl in der Politik, als auch auf dem Markt und wird daher in naher Zukunft zu einem Paradigmenwandel in unserem Finanz- und Wirtschaftssystem führen. Das heißt wohlgemerkt nicht, dass die erwähnten sozialen und umweltrelevanten Erwartungen den finanziellen Ertrag als Entscheidungsgrundlage für Investitionen ablösen, aber ihre Bedeutung wird – nicht zuletzt in der Bewertung möglicher Risiken von Investments – weiter zunehmen.

Man muss kein ökologischer Fundamentalist sein, um diese Entwicklung zu begrüßen: Denn die populären Schlagworte von Impact Investing, ESG-Kriterien und „grüne“ Investments bezeichnen tatsächlich nur die Rückbesinnung auf nachhaltiges Unternehmertum, das langfristig orientiert ist, in Zukunftschancen investiert und dem gesellschaftlichen Umfeld nicht gleichgültig gegenübersteht. Insofern sehen wir die aktuellen Entwicklungen in Europa als herausragende Chance für unsere Generation und als spannende Möglichkeit für Unternehmen und Investoren, sich eine langfristig gute Position zu schaffen.

Von Dr. Dominik Lamezan-Salins