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FINAD Market View
Februar 2023

7 mins read
Februar 6, 2023

Executive Summary

  • Das Jahr 2023 hat einen viel besseren Start hingelegt, als die meisten (uns eingeschlossen) erwartet hatten, und die Stimmung hat sich drastisch in Richtung eines Soft-Landing gedreht.
  • Während sich die Fundamentaldaten verschlechtern (Frühindikatoren fallen weiter und mit der Gewinnsaison Q4 2022 könnte eine Gewinnrezession begonnen haben), preisen die Märkte ein Goldilocks-Umfeld ein.
  • Powell war in seiner Pressekonferenz im Februar inkonsequent und unternahm wenig, um gegen die Lockerung der finanziellen Bedingungen vorzugehen.
  • Eine vorübergehende Goldilocks-Phase vor einer Rezession ist historisch nicht ungewöhnlich. Aktuell sind Disinflation, das China-Reopening und vorübergehend unterstützende Liquiditätsmechanismen im Zusammenhang mit der US-Schuldenobergrenze die wichtigsten Treiber.
  • Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass eine harte Landung nicht in den Gewinnerwartungen, Kreditspreads oder Aktienindizes diskontiert ist. Anzeichen von übermässigem Optimismus und FOMO sind überdies nun reichlich vorhanden.
  • Aktien, Anleihen und Gold können gemeinsam eine Rallye erleben, solange es keinen Pushback der Fed oder Ausreisser in den Wirtschaftsdaten gibt. Unsere Erwartung einer harten Landung impliziert aber, dass letztlich nur Gold und Anleihen die Rally nachhaltig fortsetzen werden.

Goldilocks-Höhepunkt? Die Märkte glauben Powell nicht mehr.

  • Diese Rallye wurde durch eine Neupositionierung nach Tax-Loss-Selling im Dezember, systematischen Strategien und massiven Short-Eindeckungen ausgelöst.
  • Angeführt wird sie von den Verlierern des letzten Jahres, zum Beispiel Big Tech, aber noch mehr von unrentablen Tech-Werten mit hohem Beta – der berüchtigte Ark Innovation ETF ist YTD in USD per 02.02.2023 um 42 % gestiegen.
  • Die finanziellen Bedingungen haben sich massiv gelockert. Der Bloomberg US Financial Conditions Index ist wieder auf dem Stand vor der Invasion der Ukraine.
  • Mehr als 80 % der Aktien im NYSE Composite liegen über ihrem gleitenden 50-Tage-Durchschnitt. Das letzte Mal war dies im August 2022 der Fall. Damals ging es im Anschluss für den Index bis Oktober um 16 % nach unten.

Marktentwicklungen

Welt
  • Wir sehen schwache vorausschauende Makro-Daten aus den USA (ISM, Einzelhandelsumsätze, Leading Index) und Grossbritannien sowie eher gemischte Zahlen aus Europa.
  • Wie erwartet hob die Fed den Leitzins um 25 Basispunkte an und erhöhte damit das Zielband für die Fed Funds Rate auf 4,50–4,75 %.
  • Auf die Frage nach den stark gelockerte Financial Conditions, die es der Zentralbank erschweren könnten, die hohe Inflation einzudämmen, zeigte sich Powell nicht sonderlich beunruhigt. Er wiederholte aber, dass Zinssenkungen im Jahr 2023 nicht angebracht seien. Die Märkte glauben ihm offensichtlich nicht und rechnen bereits mit Zinssenkungen von 50 Basispunkten im zweiten Halbjahr, ausgehend von einem Höchststand von ca. 5 % im Juni 2023.
Europa
  • Die EZB erhöhte den Leitzins um 50 Basispunkte und hat sich zu einer weiteren Anhebung um 50 Basispunkte im März bekannt, anschliessend wird sie ihren Kurs überprüfen.
  • Der Einbruch der Gaspreise hat das Risiko einer drohenden Energiekrise in Europa vom Tisch gewischt und die Gesamtinflation gesenkt. Die Kerninflation verharrt jedoch auf einem Rekordhoch.
  • Die Wirtschaft in der Eurozone ist im 4. Quartal des abgelaufenen Jahres entgegen den Erwartungen und trotz eines BIP-Rückgangs in Deutschland leicht gewachsen mit 0,1 %.
Schweiz

Der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe ist im Januar deutlich gesunken und hat zum ersten Mal seit Juli 2020 die Wachstumsschwelle von 50 Punkten unterschritten. Im Vergleich zum Vormonat sank der Index von 54,5 auf 49,3 Punkte. Die Konsenserwartungen, die sogar von einem Anstieg auf 54,8 Punkte ausgegangen waren, wurden damit massiv unterboten. Alle Teilkomponenten waren im Vergleich zum Vormonat rückläufig.

Ein Hard-Landing sieht zu Beginn oft wie ein Soft-Landing aus

Fed-Chair Powell hatte die Gelegenheit, aggressiv gegen die Aktienmarktrallye, die Overconfidence der Anleger und die Lockerung der finanziellen Bedingungen vorzugehen. Stattdessen überbrachte er nur eine nuanciert hawkische Botschaft.

Infolgedessen bringt die Aktienrallye viele Anleger erneut dazu, ihre fundamentale Disziplin aus Angst, etwas zu verpassen (FOMO), aufzugeben und ihre Hoffnungen auf einen Lockerungszyklus zu setzen, der später in diesem Jahr beginnen und mit einer weichen Landung einhergehen soll. In der Zwischenzeit setzen europäische und asiatische Notenbanker und Investoren darauf, dass sich diese Regionen von den Ereignissen in den USA „abkoppeln“ können.

Wie wir bereits mehrfach gesagt haben, dauert der Übergang von der Inflationsangst zur Rezessionsangst in der Regel einige Quartale und wird oft von mehrmonatigen Goldilocks-Rallyes begleitet.

Das Problem ist, dass praktisch jede Rezession mit einer sanften Landung beginnt, aber nicht alle sanften Landungen in einer Rezession enden.

Die ersten Anfänge einer Rezession sehen oft wie eine weiche Landung aus:

  1. Der Arbeitsmarkt schwächt sich ab, aber noch nicht so sehr, dass Arbeitsplätze verloren gehen.
  2. Die Unternehmenserträge gehen zurück, aber noch nicht so stark, dass sie im Jahresvergleich negativ sind.
  3. Die Inflation sinkt, aber noch nicht in rezessivem Ausmass.

 

Wenn wir uns die aktuelle Ertragssaison ansehen, sehen wir bereits deutliche Anzeichen für Schwäche. Nach Angaben von Morgan Stanley steigen die Kosten in etwa 80 % der S&P-500-Branchengruppen schneller als der Umsatz. Infolgedessen verschärft sich der Margendruck. Die aktuelle Earnings-Season könnte zum ersten Mal seit der Covid-Rezession zu einem negativen EPS-Wachstum im Jahresvergleich führen. Die EBIT-Margen für 2023 sind für den S&P 500 seit Ende letzten Jahres bereits um 1,2 % gesunken.

Auch im FX-Bereich sind nach den Zentralbanksitzungen einige grosse Reversals zu beobachten, wobei der USD an Stärke gewinnt. Sollte sich dies fortsetzen (noch zu früh, um dies zu beurteilen), könnte dies das Ende der Lockerung der finanziellen Bedingungen signalisieren, welche im Oktober letzten Jahres begann.

BNP Paribas erinnert in einem aktuellen Bericht daran, dass der NASDAQ zuletzt im Jahr 2001 im Januar um mehr als 10 % gestiegen ist (nach einem schwachen Vorjahr). Für den Rest des Jahres 2001 ging der NASDAQ um mehr als 50 % zurück. Wir sind zwar nicht so negativ eingestellt, gehen aber nach wie vor davon aus, dass eine harte Landung in den USA wahrscheinlich und noch nicht eingepreist ist – Risikoprämien für Aktien sind auf dem derzeitigen Niveau zu niedrig.

Positionierung

Wir sehen Verbesserungen für Risikoanlagen (Disinflation; Vermeidung der Energiekrise in Europa; Wiedereröffnung Chinas; wahrscheinliche Fed-Pause im zweiten Quartal, was wir schon seit einiger Zeit erwartet hatten; vorübergehende Liquiditätsunterstützung durch die US-Schuldenobergrenze). Es gibt einen Weg, die Inflation in den Griff zu bekommen, ohne dass es zu einem drastischen Rückgang der Wirtschaftstätigkeit kommen muss. Unserer Ansicht nach ist dieser Weg allerdings sehr schmal. Die Märkte preisen diesen schmalen Pfad hingegen vollständig ein, was sie anfällig für eine weitere Abwärtsbewegung macht, die schon im ersten Quartal einsetzen könnte.

Realität ist, dass die Fed weiterhin monatlich 95 Mrd. USD an quantitativer Straffung vollzieht und die Zinsen wahrscheinlich nicht ohne eine harte Landung senken wird. Die Wachstumsverlangsamung hat sich zudem zuletzt wieder beschleunigt. Es bestehen auch klare Risiken, dass die Inflation in den nächsten Monaten wieder aufflammt und dass die US-Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte 2023 vor einer tieferen Rezession steht, während sich der Konsens auf das Narrativ der sanften Landung festlegt.

Im Nachhinein betrachtet wären wir gerne mit einer taktisch höheren Aktienquote in das Jahr 2023 gegangen, sind aber froh, dass unsere beträchtliche Goldposition dies teilweise kompensiert. Wir haben den Eindruck, dass Gold in eine Haussephase eingetreten ist (wenn auch taktisch überkauft). Gründe sind die Abschwächung des Konjunkturzyklus und der Höhepunkt bei den Realzinsen und US-Dollar.

Bei einem VIX von 18 ist viel Optimismus eingepreist. Dies scheint ein günstiger Zeitpunkt zu sein, um über den Einsatz von Long-Put-Absicherungen nachzudenken.

Chart

Wir verfolgen den Liquiditätstreiber-Index von macro42, um festzustellen, wo wir uns im Liquiditätszyklus befinden. Zu unserer Überraschung haben sich die Liquiditätsbedingungen in den letzten zwei Monaten stabilisiert. Beachten Sie, dass die grüne Linie nicht mehr so stark fällt, was einen enormer Schub für ein Goldilocks-Umfeld ist. Die Hauptursache hierfür ist die Inanspruchnahme des TGA (Konto des US-Finanzministeriums bei der Fed), da die US-Regierung derzeit keine Nettoschulden begeben darf. Diese Inanspruchnahme erhöht die Liquidität im Bankensystem und neutralisiert derzeit das QT der Fed. Sobald eine neue Schuldenobergrenze beschlossen wird, wird sich der beschriebene Umstand umkehren und den Märkten Liquidität entziehen.

Wenig intuitiv ist die US-Schuldenobergrenze kurzfristig positiv für die Liquiditätsbedingungen
Quellen: Bloomberg, Barclays, Morgan Stanley, Kepler Cheuvreux, Nordea, Goldman Sachs, The Market Ear, Credit Suisse, Bernstein, TheMacroCompass, Financial Times, Finanz und Wirtschaft, Reuters, Data Trek, Citigroup, Bank of America, Bernstein, Piper Sandler, Pictet, Nick Timiraos, FactSet, BNP Paribas

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