Staatsschulden in volkswirtschaftlichen Krisen substantiell auszuweiten, um sie in Investitionen zu lenken und Vollbeschäftigung zu erreichen, gilt seit John Maynard Keynes als sinnvolle ökonomische Vorgehensweise. Das erhöhte Steueraufkommen aus dem daraus resultierenden Wirtschaftsaufschwung kann für den Schuldenabbau eingesetzt werden und so einen Ausgleich im Staatshaushalt gewährleisten. In den letzten 20 Jahren haben die Rezessionen (Internetblase 2000/01, Finanzkrise 2008/09, Covid 2020) die seit den frühen 90-er Jahren begonnenen Trends sinkender Zinsen und der steigenden Bereitschaft zur Schuldenaufnahme durch die Staaten gefestigt.

Die durch die Covid-Krise ausgelösten haushaltswirksamen Fiskalmaßnahmen belaufen sich auf über 5 Billionen US-Dollar weltweit, wobei weitere Staatsgarantien in der Höhe von 3,7 Billionen US-Dollar noch hinzukommen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für die USA mit einem Anstieg der Staatsverschuldung von 109% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Ende 2019 auf 141% bis Ende 2020. Für die Eurozone liegt diese bei 105% nach 84%, wobei die Unterschiede innerhalb der Währungsunion groß sind, und voraussichtlich in einer Bandbreite von 166% in Italien bis 77% in Deutschland liegen werden. Die Schuldenquote wird sich alleine aufgrund der immer älter werdenden Bevölkerung und des Verlustes an Wettbewerbsfähigkeit in der EU weiter erhöhen.

Für den Schuldenabbau können Staaten vier Wege beschreiten.

  • Ein anhaltender kräftiger Wirtschaftsaufschwung führt sowohl zu einer Steigerung der Steuereinnahmen und der Beschäftigung als auch zur Senkung der Sozialausgaben und des Haushaltsdefizits. Schon in den letzten Jahren vor der Covid-Krise war das Wirtschaftswachstum allerdings so gering, dass lediglich die Dynamik der Ausweitung der Staatschulden nachgelassen hat, aber die Schulden nicht abgebaut werden konnten.
  • Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen, die nur mit einer Belastung aller Bevölkerungsteile durchsetzbar wären. Ohne sichtbare Erfolge, die nur durch eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit erzielt werden können, ist aber ein radikaler Sparkurs nicht durchzuhalten.
  • Ein kräftiger Schuldenschnitt, der mit einem erheblichen Vertrauensverlust an den Kapitalmärkten einhergeht, kann zumindest vorübergehend Abhilfe schaffen. Fehlen allerdings begleitende Strukturreformen, ist der nächste Staatsbankrott bereits absehbar.
  • Zentralbanken kaufen trotz ihrer formalen Unabhängigkeit von der Politik immer mehr der Staatsschulden. Begünstigt wird dieses Vorgehen durch historisch tiefe Zinsen.

Dieser vierte Weg wird in Japan bereits seit 1995 beschritten, das mittlerweile mit 240% seines BIP verschuldet ist. Als Ende 2012 Shinzo Abe Premierminister wurde, bestand sein Wirtschaftsprogramm wenig überraschend aus den drei Kernforderungen Fortsetzung der lockeren Geldpolitik, schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme sowie Strukturreformen für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Die Bilanz seiner Ära, die im September krankheitsbedingt enden wird, ist ernüchternd. Die japanische Wirtschaft wuchs in den Jahren 2013 bis 2019 um durchschnittlich 1%. Blendet man die Finanzkrise aus, war das Wachstum geringer als in den Jahren vor seiner Amtszeit. Obwohl der Aktienindex Nikkei 225 sich seit dem Amtsantritt Abes verdoppelte, fehlte die nachhaltige realwirtschaftliche Belebung. Lediglich die Zinslast für den Staat und die Unternehmen ist historisch tief und könnte noch weiter fallen, weil die Bank of Japan als 70%-Eigner der Staatsschulden die Zinssätze sogar am langen Ende kontrolliert. Eine Zunahme der sogenannten Zombie-Unternehmen, die ohne die staatlich initiierten Maßnahmen nicht überlebt hätten, war die Folge und verhinderte eine wettbewerbsbedingte Bereinigung. Bei den Zentralbanken geht nun die Deflationsangst um, weil die Erreichung der Inflationsziele von ca. 2% trotz größter geld- und fiskalpolitischer Anstrengungen bereits vor der Covid-Krise nicht gelang.

Die Eurozone besitzt zwar mit der EZB eine gemeinsame Geldpolitik, aber, ungeachtet des im Juli beschlossenen Wiederaufbaufonds, keine gemeinsame Haushaltspolitik. Eine Aufweichung der am Papier noch immer bestehenden Maastricht-Kriterien (Haushaltsdefizit kleiner als 3% des BIP, Staatsverschuldung kleiner als 60% des BIP, Inflation maximal 1,5% über jener der 3 preisstabilsten Mitgliedsstaaten) bleibt für die Staats- und Regierungschefs der EU unausweichlich. So wird auch das Inflationsziel der EZB von 1,9% überschritten werden müssen, um die jahrelangen Unterschreitungen auszugleichen. Die Vollbeschäftigung der vergangenen Jahre ging mit einer mit ihr unvereinbaren niedrigen Inflationserwartung einher.

Die Antwort muss daher eine gemeinsame Haushaltspolitik, unter Führung der EZB, sein. Wenn die EZB zum Beispiel Ziele für das nominale BIP formulierte, könnte sie bei Angebotsschocks, die die Preise anfachen und die Produktion dämpfen, sowohl ein Inflations- als auch ein Wachstumsziel verfolgen. In Einheitsstaaten wie den USA und dem UK ist eine geld- und fiskalpolitische Koordinierung zur Erreichung eines vereinbarten Zieles – wie einem bestimmten BIP-Wachstum – leichter möglich. Eine neu zu schaffende unabhängige EU-Haushaltsbehörde könnte die EU-Finanzpolitik mit der EZB koordinieren. Die beiden Organe würden bei regelmäßigen Treffen Ziele zu Defiziten, Zinssätzen und Inflationsraten definieren und ihre Übereinstimmung mit den nationalen Politiken der EU-Mitglieder prüfen. In der aktuellen Situation, in der die Fiskalpolitik aufgrund der sehr niedrigen, realwirtschaftlich wenig förderlichen Zinssätze, wirksamer ist als die Geldpolitik, könnte die EZB trotz ihrer massiven Käufe von Staatsschulden sogar an Glaubwürdigkeit gewinnen.

Gelingt eine nachhaltige EU-Haushaltsreform nicht, bleibt das Festhalten an alten Denkmustern wie einem Nord- und einem Süd-Euro sowie Parallelwährungen in den wirtschaftlich weniger wettbewerbsfähigen EU-Mitgliedsstaaten. Vergessen wird dabei oft, dass die betroffenen Staaten nach einer solchen Trennung geringere Steuereinnahmen in Euro erhalten und wohl nicht mehr in der Lage sein werden, ihre auf Euro lautenden Schulden zu bedienen. Das wäre für die Nettozahler / Nord-Euro-Staaten / Gläubiger vermutlich teurer als die gemeinsame Haushaltspolitik. Eine Alternative zu einer unter Einbeziehung der einzelnen Mitgliedsstaaten zentralen Steuerung der EU-Finanzen besteht längerfristig nicht.