This website is also available in other languages

English
Deutsch English Española

FINAD Market View
Juni 2024

7 mins read
Juni 4, 2024

Zusammenfassung

  • Die globalen Aktienmärkte konsolidieren sich nach den neuen Allzeithochs im Mai und könnten im Sommer erneut steigen.
  • Die Entwicklung der Inflation und die Frage, wann und wie deutlich die Zentralbanken die Geldpolitik lockern können, beherrschen die makroökonomische Diskussion.
  • Unser Ausblick bleibt positiv, da die Wachstumskennzahlen in jüngster Zeit nachgegeben haben (ohne jedoch auf eine Rezession hinzudeuten) und gute Aussichten bestehen, dass die Inflation weiter abnimmt. Außerdem tendiert die US-Notenbank (Fed) zu Zinssenkungen und die Prognosen für Unternehmensgewinne steigen.
  • Die jüngsten Ergebnisse von Nvidia sind den hohen Investitionen der Technologiebranche in Rechenzentren zu verdanken, die Anwendungen für künstliche Intelligenz (KI) hosten. Weniger offensichtliche Nutzniesser dieses Ausbaus sind die Branchen erneuerbare Energien, Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik (HLK) sowie Elektrotechnik.
  • Quality-Growth Aktien sollten unseres Erachtens weiterhin outperformen.
  • Bei Hochzinsanleihen und Anleihen mit langer Duration sind wir vorsichtig und bevorzugen Staatsanleihen und hochwertige Unternehmensanleihen mit kürzerer Duration (insbesondere in den USA).
  • Gold hat den Euro als zweitwichtigste Reservewährung der Zentralbanken abgelöst. Das Edelmetall bleibt eine bedeutende Position in unseren Portfolien, von der wir auf lange Sicht überzeugt sind.
  • Aufgrund der Prognose einer strukturell höheren Inflation in den kommenden Jahren, planen wir unser Engagement in Rohstoffen anzuheben.

Inflation und Geldpolitik beherrschen weiterhin die makroökonomische Diskussion

  • Nach höheren Inflationsraten in den USA von Januar bis März, nutzten die globalen Aktienmärkte das Nachlassen der Teuerung im April, um neue Allzeithochs zu erreichen.
  • Die Aufwärtsdynamik war am stärksten bei US-Large-Cap-Unternehmen, die durch die hervorragenden Unternehmensergebnisse von Nvidia zusätzlichen Rückenwind erhielten.
  • Die Aktien konsolidieren nun rund um das jüngste Breakout-Level und weisen eine gute Chance auf im Sommer zu steigen, unter anderem, weil in US-Wahljahren oftmals Rallys von Juni bis August zu beobachten sind.
  • Die US-Notenbank wird hauptsächlich auf einen weiteren Rückgang der Inflation warten, um zu bestimmen, wann und wie stark sie die Geldpolitik lockert. Die Anleger verfolgen aufmerksam alle makroökonomischen Daten. Die jeder Veröffentlichung folgenden Diskussionen schwanken je nach Entwicklung zwischen Zinssenkungen (mehrere, eine, keine) und Zinserhöhungen. Selbst das jüngste Sitzungsprotokoll der US-Notenbank deutet auf eine gewisse Verwirrung und Uneinigkeit unter den Mitgliedern hin.
  • Wir rechnen mit einer günstigen Entwicklung der Inflation in den kommenden Monaten, da die Kosten für «Wohnen», einer nachlaufenden Untergruppe des Warenkorbs, auf die 35% des Konsumentenpreisindex und 43% des Kernindex entfallen, endlich sinken dürfte. Ohne Rezession ist eine nachhaltige Rückkehr zum Inflationsziel von 2% eher unwahrscheinlich. Aktien können jedoch auch ohne diese Rückkehr eine gute Performance erzielen.

Marktentwicklung

Welt

Der US-Staatshaushalt weist ein Defizit von 6% auf. Dieses beispiellose Niveau ausserhalb einer Rezession hält voraussichtlich in den nächsten Jahren an. Deshalb kommen immer mehr Bedenken hinsichtlich der langfristigen Schuldentragfähigkeit auf. Laut Goldman Sachs steigt die US-Schuldenquote bis 2034 wohl auf 130% der Wirtschaftsleistung. Im Jahr 2019 lag die Prognose des Bankhauses noch bei 97%.

Die US-Zinsstrukturkurve ist seit mehr als 400 Handelstagen invers. Daher argumentieren immer mehr Marktkommentatoren, dass die Zinskurve nicht mehr als Rezessionsindikator dienen kann. Obwohl wir keine unmittelbar bevorstehende Rezession erwarten, halten wir diese Einschätzung für falsch und verfrüht, denn die Erfahrung zeigt, dass die Umkehrung der Inversion und nicht die Inversion selbst auf eine Rezession hindeutet. So weit sind wir allerdings noch nicht.

Europa

Die Wahl zum Europäischen Parlament findet vom 6. bis 9. Juni statt. Aktuelle Umfragen deuten auf einen Rechtsruck hin, der die aktuellen politischen Schwerpunkte verschieben und die Entscheidungsfindung in einem zunehmend fragmentierten Parlament erschweren könnte. Aus Sicht der Anleger sollte die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit für die Politiker im Vordergrund stehen, da strukturell höhere Energiepreise, eine ungünstige demografische Entwicklung und komplexe Vorschriften die Kluft zwischen der EU und den USA vertiefen. Leider gibt es keine einfache Lösung für die schwindende Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere in einer politischen Union mit 27 Mitgliedstaaten.

Schweiz

Seit Anfang 2024 hat der Schweizer Franken gegenüber dem Euro und dem US-Dollar an Wert verloren. Die Zinssenkung im März trug zum Rückgang der eidgenössischen Währung bei. Der schwache Franken ist laut Thomas Jordan, Chef der Schweizerischen Nationalbank, die wahrscheinlichste Ursache für einen möglichen Anstieg der Teuerung in der Schweiz. Er meint, dass die SNB dem Risiko durch den Verkauf von Devisenreserven entgegenwirken kann – eine Maßnahme, die eventuell bereits durchgeführt wird. Die Inflation scheint unter Kontrolle zu sein, weshalb eine weitere Zinssenkung im Juni sinnvoll wäre, doch die Frankenschwäche könnte den nächsten Zinsschritt hinausschieben.

 

Nvidia, künstliche Intelligenz und Rechenzentren

Nvidia veröffentlichte erneut herausragende Quartalszahlen und bestätigte damit die derzeit konkurrenzlose Position des Unternehmens als Hauptnutzniesser der KI. Seit der Einführung von ChatGPT im November 2022 vervierfachte sich der Umsatz von Nvidia, während der Nettogewinn um das Neunfache stieg. In diesem Zeitraum kletterte die Marktkapitalisierung von USD 420 Milliarden auf beinahe das Siebenfache: USD 2,8 Billionen. Dieses beispiellose Wachstum verwandelt Nvidia zum drittgrössten Unternehmen der Welt hinter Microsoft und Apple, noch vor Alphabet und Amazon. Auf die Aktie entfallen 4% der 11%, die der S&P 500 bislang im Jahr 2024 zulegte.

Um ihren Kunden generative KI-Modelle anbieten zu können, investieren die amerikanischen Big-Tech-Konzerne ausserordentlich hohe Beträge in die Verbesserung und den Ausbau ihrer Rechenzentren. Microsoft kündigte beispielsweise vor Kurzem Investitionen von je zweimal USD 3 Milliarden in Rechenzentren in Japan und Grossbritannien an. Die Anleger beginnen langsam, die weiteren Auswirkungen dieses massiven globalen Ausbaus zu erkennen. Aus diesem Grund möchten wir die unterschätzten Effekte in bestimmten Branchen beleuchten.

Die Nachfrage nach Strom der Rechenzentren dürfte erheblich steigen. Der Internationalen Energieagentur zufolge verbrauchten Rechenzentren im Jahr 2022 etwa 460 Terawattstunden (TWh). Das Wachstum des Strombedarfs der Rechenzentren entsprach 2023 dem von Klimaanlagen und übertraf das von Elektrofahrzeugen. 2026 liegt der Strombedarf voraussichtlich zwischen 620 und 1050 TWh. Es wird nicht nur mehr Rechenzentren geben, sondern jedes Zentrum wird auch mehr Energie verbrauchen. Während eine Google-Suche etwa 0,3 Wattstunden (Wh) benötigt, verbraucht eine ChatGPT-Anfrage 2,9 Wh. Schliesslich benötigen die fortschrittlichsten Chips mehr Strom, was trotz der relativen Leistungsverbesserung zu einem Gesamtanstieg führt. Während der A100 Prozessor von Nvidia für 5 Petaflops (Einheit der Computerverarbeitungsgeschwindigkeit) sorgt und 6,5 Kilowatt (kW) verbraucht, liefert der neuere H100 bereits 32 Petaflops und verbraucht 10,2 kW. Die Leistungsintensität (kW pro Petaflops) sinkt, aber der Gesamtverbrauch steigt.

Auf die Datenverarbeitung entfallen rund 40% des Stromverbrauchs eines Rechenzentrums. Die Kühlung verbraucht ebenfalls 40% und die restlichen 20% entfallen auf andere IT-Ausstattung. Die Branche der erneuerbaren Energien dürfte von einer höheren Stromnachfrage profitieren, da sich alle Hyperscaler (z. B. Microsoft, Amazon, Google, Meta) und ihre vielen Co-Locators (z. B. Equinix) verpflichtet haben, ab 2030 nur noch CO2-freie Energie zu nutzen. Die Stromversorgung erfolgt über langfristige Abnahmeverträge (Corporate Power Purchase Agreements bzw. CPPA), die in den letzten fünf Jahren für knapp 80% aller neuen Solaranlagen im Versorgungsmaßstab in den USA verantwortlich waren.

Anbieter von Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik (HLK) sind ebenfalls gut aufgestellt, um davon zu profitieren, da eine effiziente Kühlung für den rentablen Betrieb eines Rechenzentrums entscheidend ist. Die Kapazität eines Rechenzentrums hängt direkt von der wirksamen Kühlung der Server ab. Je enger die Systeme und Geräte gestapelt werden können, desto höher ist die Produktivität pro Quadratmeter. Früher wurden ganze Räume klimatisiert, heute gibt es Systeme, die mit Ventilatoren die Abwärme der Server abführen und mit Wasser oder einem Kältemittel kühlen. Dennoch ist die Leistung weiter zu verbessern, da sogar die hochmodernen Systeme heute Schwierigkeiten haben, mit den Temperaturen infolge der Erderwärmung zurechtzukommen. Aufgrund einer Hitzewelle im letzten Sommer mussten Google und Oracle zum Beispiel in Europa Ausfälle verzeichnen. Schliesslich braucht es auch Unternehmen, die ein breites Spektrum an elektrischen oder technischen Komponenten und Lösungen anbieten, z. B. elektrische Schaltanlagen, Ethernet-Systeme und spezielle Kabelsysteme.

Positionierung

Unser Marktausblick für Risikoanlagen bleibt im Allgemeinen positiv. Diese Einschätzung basiert auf nachlassenden Wachstumskennzahlen (ohne jedoch auf eine Rezession hinzudeuten) und guten Aussichten auf weiter abnehmende Inflation.  Ausserdem tendiert die US-Notenbank zu Zinssenkungen und die Prognosen für Unternehmensgewinne steigen. Deshalb rechnen wir damit, dass die globalen Aktien sich in den kommenden Monaten weiterhin gut entwickeln. Danach dürften manche Faktoren nicht mehr so günstig bleiben. Ferner wird die US-Wahl wohl kurzfristig zu einer gewissen Marktvolatilität führen.

Wir bevorzugen Unternehmen mit soliden Bilanzen und vielversprechenden Wachstumsaussichten. Unseres Erachtens erhöhen die erfreulichen Ergebnisse von Nvidia die Wahrscheinlichkeit, dass Quality-Growth Aktien sich im restlichen Konjunkturzyklus überdurchschnittlich entwickeln.

Wir bleiben weiterhin gegenüber festverzinslichen Wertpapieren sehr vorsichtig. Hochzinsanleihen gefallen uns nicht, weil die Kreditspreads zu niedrig sind, um das zusätzliche Risiko angemessen auszugleichen. Wir bevorzugen Staatsanleihen und hochwertige Unternehmensanleihen. Insgesamt halten wir die Duration kurz, insbesondere in den USA, wo die hohen Staatsanleihenemissionen die Renditen belasten könnten. Im Euroraum stehen wir Anleihen mit längerer Laufzeit allmählich positiver gegenüber, da die EZB im Juni wahrscheinlich ihren Leitzins erstmals senkt.

Wir sind nach wie vor überzeugt, dass Gold der beste Vermögenswert zur Diversifizierung unseres Portfolios ist. Unserer Ansicht nach sichert Gold gegen eine Reihe von Risiken ab: Geldmengenwachstum, Inflation, steigende Staatsdefizite, geopolitische Ungewissheit und schwindende Glaubwürdigkeit der Zentralbanken. Interessanterweise konnte Gold den Euro als zweitwichtigste Reservewährung der Zentralbanken verdrängen. Diese Position hatte das Edelmetall Ende der 1990er-Jahre verloren. Die Zentralbanken in China und anderen Schwellenländern erhöhen ihre Goldbestände, weil Gold ein politisch neutraler und sicherer Vermögenswert ist, der nicht den US-Dollar-basierten Sanktionen unterliegt.

In der Anlageklasse Rohstoffe wollen wir unser bestehendes Engagement erweitern. Obwohl wir in den nächsten Monaten mit einem Rückgang der Inflation rechnen, gehen wir von einer strukturell höheren Inflationsrate aus als in den 2010er-Jahren. Rohstoffe haben sich in der Vergangenheit bei erhöhter Inflation gut entwickelt.

Chart

Rohstoffe könnten Portfolios besser diversifizieren als Anleihen. Von 1945 bis heute hätte ein Portfolio aus 60% Aktien und 40% Rohstoffen, anstatt 40% Anleihen, eine Outperformance erzielt und ein geringeres Abwärtsrisiko aufgewiesen. Die Vorteile von Rohstoffen waren in Phasen höherer Inflation, wie den 1970er- und 1980er-Jahren, am deutlichsten.

Rohstoffe sind bessere «40» als Staatsanleihen
Quellen: Bloomberg, Morgan Stanley, Bank of America, Goldman Sachs, The Macro Compass, The Market Ear, Steno Research, 42Macro, JPM, Hightower Naples, ZKB, Strategas, RBC Capital, FT, Yardeni Research

Newsletter-Anmeldung